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Die blauen Banner und Wimpel des Königs flattern im lauen Wind des sommerlichen Abends. Der Tag neigt sich zum gehen, die hohen Türme der Kathedrale werfen lange Schatten über den Platz. In den Lüften ziehen Schwalben ihre Kreise und das Geläut der Glocken hallt wider in den Gassen von Sturmwind. Ein Blütenregen ergiesst sich von den Fenstern, und sacht werden sie über den Platz getragen. Viele Bürger haben sich versammelt an diesem Tag, sie stehen eng, ihre freudlosen Gesichter erfüllt voll wundersamen Staunens.

Mit einem Schlag werden die schweren Pforten der Kathedrale aufgetan. Weihrauch geschwängerte Luft tritt hinaus. Zwei Reihen junger Ministranten, die heilige Kerze der Frömmigkeit andächtig vor sich haltend, treten aus dem kühlen Schatten der Kirche hinaus in die Abendsonne. Allesamt sind sie Kinder, rekrutiert aus der hoffnungslosen Schar der Waisen. Ihre leeren Herzen sind gefüllt mit den Worten der Akolyten.

Die Kinder der Bürgerlichen blicken auf jene, die die Treppen hinunterschreiten. Der Sohn des Schmiedes, die Tochter der Schneiderin, die Gänsemagd und der Botenjunge, allesamt sind sie beeindruckt von der Andächtigkeit und der Perfektion dieser Prozession. Die einheitlichen Gewandungen, der Gleichschritt, die Regungslosigkeit in den Minen: Vollkommenheit in der Geborgenheit der Kirche.

Hinter dem Spalier der Ministranten schreitet mit gesenktem Blick die Schar der Akolyten. Sie schwenken die Weihrauchschalen und rezitieren leise die Liturgien denen sie ihr Leben verschrieben haben. Ihre Roben sind bestickt mit den Symbolen des Lichtes und den Runen der Tugend.

Die Tauben stoben auseinander und erheben sich gurrend in die Luft, um an den Dachrinnen Platz zu nehmen. Einige Hunde kläffen. Die Bürger halten den Atem an, während die letzten Blüten aus der Luft zu Boden rieseln.

Dann, aus dem Schatten der Kirche heraus, treten die Gardisten. Ihre polierten Rüstungen fangen das letzte Licht des Tages ein und geben es in einem silbernen Licht wider. Ihre Minen sind streng und unbeugsam. Stolz tragen sie ihren Schild und ihre Klinge an den Seiten. Sie atmen langsam und bedächtig, denn einer Sache sind sich diese Männer gewahr: Sie sind die letzte Bastion der Wahrhaftigkeit in einer Zeit voller Frevel, Verrat und Ketzerei.

Mit einem Mal wird es still auf dem Platz. Es hat den Anschein, als trauen sich die Hunde nicht mehr zu bellen. Selbst das Gurren der Tauben verebbt.

Während die Gardisten auf den Stufen an beiden Seiten vor den geöffneten Pforten der Kathedrale knien, erscheint eine Silhouette in ihrem Schatten. Für einen Moment scheint die Zeit stehen zu bleiben und alle Blicke richten sich auf die Gestalt. Innerhalb der Kirche beginnt ein sakraler Chor die heiligen Verse zu singen, sie hallen wider von den hohen Mauern und erfüllenden Platz, reihen sich ein in die ausklingenden Glockenschläge.

Schließlich, den Moment abwartend, tritt die Silhouette nach draussen. Gekrönt mit dem Pileous seines Ordens, in den bestickten Talar der Frömmigkeit gekleidet, den das Symbol des Lichtes – die aufgehende, goldene Sonne – ziert, schreitet er zielstrebig voran. Zur linken und rechten seines Zingulum trägt er mächtige Waffen, Hammer und Streitkolben, pulsierend, voll heiliger Energie. Sein Blick ist unnachgiebig, seine Augen leuchten. Das Gesicht gezeichnet von einem Leben in Demut und Enthaltsamkeit. Einen Leidensweg hat er beschritten, dieser Mann, Körper und Geist dem Glauben allein dahin gegeben. Den Gräueln dreier Kriege hat er ins Antlitz geschaut, den süssen Versuchungen der Legion widerstanden. Worte der Gnade, der Barmherzigkeit oder der Liebe sind ihm fremd. In einer Welt voller Frevel, Verrat und Ketzerei ist dafür kein Platz. In den Wirren und der Orientierungslosigkeit der Nachkriegsjahre, in denen Völker und Kulturen aufeinander prallen, sind sie ein Zeichen der Schwäche.

Er ist ein Werkzeug seines Glaubens. Er benötigt keine Worte. Hier steht er, an diesem Sommerabend, vor den Pforten der Kathedrale und empfängt einen Lohn, den er missbilligend nur empfängt. Streng blickt er in die Gesichter und die sich reckenden Hälse dieser Schar. Sie sind Lämmer, den Verlockungen des Übels schutzlos ausgeliefert. Viele von ihnen werden an den geringen Prüfungen dieser grausamen Zeit scheitern. Er ist hier, um sie vor einem schrecklichen Schicksal zu retten.

Doch er empfindet keine Freude.

Der Jubel vom Kathedralenplatz hallt wider in den Gassen von Sturmwind. Die blauen Banner flattern im Abendwind. Vom Lärm aufgeschreckt, stoben Schwärme von Schwalben und Tauben in die Luft. Die Freude gilt nicht den Almosen an die Bedürftigen, denn es wird keine geben. Das Klatschen gilt nicht den Segnungen die er verteilt, denn sie gehen mit selbstverständlicher Verantwortung einher. All der Taumel ist nur ein Mittel gegen die Empfindung dieser Machtdemonstration in ihren Herzen.

Es ist die Furcht.


Verfasser unbekannt



Von Anthrazides

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